Pressemitteilung der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich (TKG)
Wien, 25.11.2024
In Österreich brodelt es. Das eine Woche alte Baby „Melek“, zu Deutsch „Engel“, soll laut Zeitungsberichten von seiner 30-jährigen, labilen Mutter ermordet im Müllcontainer eines Wiener Krankenhauses gefunden worden sein. Der 28-jährige Vater und seine Familie wollten das unehelich geborene Kind ebenso wenig wie die Familie der Mutter. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Nach der Verhaftung der Mutter, die ihr Frühgeborenes in einer Klinik in Wien-Favoriten getötet und dies der Polizei gestanden haben soll, sind viele Fragen offen. Als Reaktion darauf wurde der Fall in Teilen der österreichischen Presse als „Ehrenmord“ oder als „kulturelle Norm, Sitte oder Tradition“ bezeichnet, dargestellt oder in Frage gestellt.
In den Berichten wird übrigens immer wieder und wiederholt „auf die türkische Abstammung der Frau von einem unehelichen Mann und auf die Familie hingewiesen“, was wir als Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) für bedenklich halten, was aber leider in der uns bekannten journalistischen Eile unter den Tisch fällt und gewollt oder ungewollt als „kultureller Rassismus“ (Kultururalismus. Rassismus ohne Rasse) gegen die „journalistische Ethik“ und die „Goldenen Regeln“ betrieben wird.
Wir müssen einen Eintrag in die Geschichte machen.
Solche hetzerischen Berichte führen dazu, dass Menschen aus der Türkei in Österreich schlecht behandelt und diskriminiert werden!
Autochthone Österreicher Fritzl aus Amstetten!
Frage: Wie beeinflussen kulturelle Werte, Bräuche, Traditionen und Normen das Ehrverständnis der türkischen Community in Österreich?
TKG: So etwas Brutales hat mit den türkischen kulturellen Werten, Traditionen, Sitten, Normen und dem Verständnis der Menschen aus der Türkei, egal welcher Herkunft, nichts zu tun. Genauso wenig wie der autochthone Österreicher Fritzl aus Amstetten, der durch die jahrelange Vergewaltigung seiner eigenen Tochter im Keller seines Hauses weltweit Schlagzeilen machte, mit österreichischen kulturellen Werten, Ehrbegriff, Traditionen, Sitten und Normen zu tun hat. Der Großteil der in Österreich lebenden türkischen Migranten lebt friedlich und in allen Bereichen integriert in Österreich. Seien es WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen, Fachmänner und Frauen in allen Bereichen, Gastronomie, KünstlerInnen, ArbeiterInnen, gewählte Abgeordnete, Landesabgeordnete, Bezirksräte, TaxifahrerInnen, Bedienstete, mehrere Eigentümer der Holdinggesellschaft, und Immobilien Tykons. Es gibt unter ihnen sehr gute und sehr schlechte Menschen, genauso wie unter autochthonen ÖsterreicherInnen oder anderen Gruppen von MigrantInnen. Man sollte kriminelle Geschichten nicht auf eine Gemeinde, auf Personen oder Bevölkerungsgruppen verallgemeinern. Wir werden in Österreich jeden Tag auf die Probe gestellt, weil die Bevölkerung, ob wir es wollen oder nicht, immer vielfältiger wird.
Faktum ist aber, damit es jeder weiß: Die österreichisch-türkischen Familien hegen und pflegen ihre Kinder und widmen ihnen ihr ganzes Leben. Die Geburt eines Kindes gilt in der österreichisch-türkischen Gesellschaft als „Glücksbringer für die ganze Familie“ und das Kind wird nicht in den nächsten Mülleimer geworfen, wenn es nicht gefällt oder die Ehre verletzt wird. Ein solches Bild mit Vorurteilen möchte man den AustrotürkenInnen in Österreich als unveränderliche Kultur einprägen. Bravo! Nichts aus der Geschichte gelernt. Wir machen trotzdem weiter. Wir geben nicht auf mit der Aufklärung für Österreich, außer unsere Post an die Österreichische Post.
Rassismus ohne Rassen: „Kultureller Rassismus“
Faktum 1-Der Kulturalismus als „kultureller Rassismus“ bezeichnet Konzepte, die mit ihrem Kulturbegriff völkische Lehren fortführen. Er geht von der Existenz eines Rassismus aus, der den Begriff der Rasse nicht verwendet. Neorassisten vertreten also keinen Kulturalismus im philosophischen Sinne, sondern im Gegenteil einen Biologismus, den sie auch auf die Kultur übertragen. Der Kulturbegriff der Neorassisten ist kein kulturalistischer, sondern ein naturalistischer. Die Rhetorik ändert sich, aber das biologistische Denken bleibt. Das Wort „Rasse“ wird hier durch „Kultur“, „Ethnie“, „Volk“, „Nation“, „Tradition“, „Ehrenkodex“ oder andere Begriffe ersetzt. Der Begriff „Rasse“ wird in dieser Form des Rassismus aufgegeben, „ohne dass die Abwertung und Ausgrenzung des ‚Anderen‘ an Schärfe verliert“ (Quelle: Angelika Magiros: Kritik der Identität. „Bio-Macht“ und „Dialektik der Aufklärung“ – Instrumente gegen Fremdenabwehr und Neo-)Rassismus. Münster 2004, Insb. S. 166 ff.)
Faktum 2- „John Solomos und Les Back argumentieren, dass Rasse heute ‚als Kultur codiert‘ wird und dass das zentrale Merkmal dieser Prozesse darin besteht, dass die Eigenschaften sozialer Gruppen fixiert, naturalisiert und in einen pseudobiologisch definierten Kulturalismus eingebettet werden.“
– George M. Fredrickson: Rassismus. Ein historischer Abriß (Quelle: George M. Fredrickson: Rassismus. Ein historischer Abriß. Hamburger Edition, Hamburg 2004 (Einleitung online (Memento vom 23. August 2016 im Internet Archive).
Faktum 3- „Wenn dieses Klassifikationssystem dazu dient, soziale, politische und ökonomische Praktiken zu rechtfertigen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen, handelt es sich um rassistische Praktiken.“ ( Quelle: Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs( Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Das Argument. Heft 178, 1989, S. 913)
Frage: Welches öffentliche Interesse besteht daran, die Herkunft des Täters und seiner Familie in der Berichterstattung immer wieder so reißerisch und sensationslüstern mit „Kultur, Ehrenmord, Tradition, Ehrenkodex“ etc. zu erwähnen?
Im Anschluss an diese Berichterstattung in österreichischen Medien finden sich in sozialen Netzwerken folgende hetzerische und kulturrassistische Kommentare: „Im zweiten Fall ging es um den Mord an einem Baby, wobei die Medienmeute und die Psychiaterin R. schon vor dem Obduktionsergebnis genau wussten, dass es sich um eine „Kindbett-Depression“ handelte, was wiederum eine geringe oder gar keine Strafe nach sich zieht. Tatsächlich wurde das Baby von einer Mutter, die sich auf einen archaischen (türkischen) Ehrenkodex beruft, brutal zu Tode geprügelt. Die in solchen Fällen erfahrene „Prominentenanwältin“ durfte ihre einseitige Sicht in allen Medien präsentieren“.
Wie kann man die kriminelle Tat einer kranken Frau und das Fehlverhalten bzw. die Familie einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die mit 4000.000 nicht klein aber in der Minderheit ist, als unveränderliche Kultur wie die DNA abstempeln, satanisieren und Vorurteile in die Köpfe der Menschen stempeln.Viele Menschen aus der Türkei werden deshalb schlecht und nicht gleich behandelt, weil die Menschen mit Vorurteilen in den Köpfen wie in Granit einbrennen.
Warum sagte der deutsche Jude Albert Einstein: „Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern, als Vorurteile abzubauen“ (Zitat: Albert Einstein, 1879 – 1955)
Warum musste Albert Einstein Deutschland verlassen? Und welche Menschen (auch Minderheitenangehörige) schreiben bzw. verbreiten heute zum Fremdschämen solche vorurteilsbildenden satanisierenden Berichte über eine Minderheit von AustrotürkenInnen? Die Austrotürken sind keine Engel, aber der Satan per se auch nicht. Das ist falsch und entspricht nicht der Wahrheit.
„Archaischer (türkischer) Ehrenkodex Beruf“?
Gerade diese Art der Berichterstattung, die immer wieder die Herkunft des Täters betont, provoziert, hetzt und baut Vorurteile gegen eine Bevölkerungsgruppe, gegen eine Minderheit auf. Das ist Hetze pur. Man muss sich die Frage stellen: Welches öffentliche Interesse besteht daran, die Abstammung des Täters und seiner Familie in der Berichterstattung ständig und immer wieder so reißerisch und sensationslüstern zu erwähnen?
Was sagt das österreichische Recht, das uns alle verbindet?
Den Tatbestand der Verhetzung erfüllt auch, wer eine der genannten Personengruppen in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, sie verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein ehrenrühriges und volksverhetzendes Posting den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen und damit strafbar sein. Der Straftatbestand wurde zum 1. Januar 2016 erweitert, um unter anderem die Internetkriminalität effektiver bekämpfen zu können.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Verhetzung zu begehen:
Verhetzung begeht, wer vor einer größeren Anzahl von Personen (ab ca. 30 Personen) zu Gewalt oder Hass gegen Personen auffordert oder aufreizt, und zwar wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion oder Weltanschauung
der Nationalität, der Abstammung, der nationalen oder ethnischen Herkunft
des Geschlechts, einer körperlichen oder geistigen Behinderung
des Alters oder der sexuellen Identität.
Für den Aufruf zur Gewalt kann das Gericht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verhängen. Erfolgt der Aufruf zur Gewalt oder die Verhetzung vor einer größeren Öffentlichkeit (ab 150 Personen), beträgt die Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Hat die Aufreizung tatsächlich zu Gewalttätigkeiten geführt, beträgt die Freiheitsstrafe mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre.
Das billigende oder rechtfertigende Verbreiten von volksverhetzendem Material wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen bestraft.
Verhetzung kann solche Fälle auslösen…Beispiel
Todesschuss in der Türkenkaserne: So starb der junge Soldat Mustafa P. durch den tödlichen Schuss von Lukas P.! Genau fünf Wochen nach dem tödlichen Drama im Wachraum der Kärntner Türkenkaserne gibt es laut österreichischen Medien neue Details zum Tathergang: Der 21-jährige Soldat Mustafa P. wurde von Lukas P. mit einem einzigen Schuss in die Lunge getroffen und verblutete sofort hilflos. Es gilt die Unschuldsvermutung. Warum ermordete Lukas P. den von seinen Freunden geliebten türkischstämmigen österreichischen Soldaten Mustafa P. aus der Ferne? Gab es ein rassistisches Motiv? Wir vertrauen darauf, dass die österreichischen Staatsanwälte und Richter hier richtig handeln.
Haben Sie schon einmal von Infantizid – Kindstötung gehört?
Unter Kindstötung (auch Infantizid, von lat. infanticidium) versteht man die Tötung eines Kindes, meist durch einen Elternteil. Die Tötung eines Neugeborenen wird als Neonatizid bezeichnet.
Resnick, P. J. (1970) definiert den Neonatizid als Tötung eines Kindes innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt, den Infantizid als Tötung eines Kindes im Alter von einem Tag bis zu einem Jahr und den Filizid als Tötung eines Kindes im Alter von über einem Jahr.
Der Experte und Autor Resnick, P. J. ist der Ansicht, dass die Tötung eines Neugeborenen eine von anderen Kindstötungen getrennte Einheit darstellt, die sich hinsichtlich der Diagnose, der Motive und der rechtlichen Disposition des Täters unterscheidet.
Es werden die Unterschiede zwischen der Tötung von Neugeborenen und anderen Kindstötungen untersucht. Für dieses Phänomen wird ein neuer Begriff vorgeschlagen: „Neonatalmord“. Mütter, die Neugeborene töten, sind seltener psychotisch als Mütter, die ältere Kinder töten. Während die meisten Filizide aus „altruistischen“ Gründen begangen werden, werden die meisten Neonatizide einfach deshalb begangen, weil das Kind unerwünscht ist. Zu den Gründen für die Tötung von Neugeborenen gehören außereheliche Vaterschaft, Vergewaltigung und die Tatsache, dass das Kind als Hindernis für die elterlichen Ambitionen angesehen wird. Nichteheliche Vaterschaft ist das häufigste Motiv.
Es gibt zwei Gruppen von unverheirateten Mörderinnen:
(a) junge, unreife und sexuell passive Frauen (die häufig eine Schwangerschaft leugnen und selten vorsätzlich töten) und
(b) Frauen mit starken instinktiven Trieben und wenig ethischer Zurückhaltung (die tendenziell älter, gefühlloser und häufig promiskuitiv sind).
Es wird spekuliert, dass ungelöste ödipale Gefühle zu einigen Kindestötungen beitragen können, die früher ausschließlich soziologischen Faktoren zugeschrieben wurden. (51 ref.) (PsycINFO Database Record (c) 2019 APA)
Frage: Was hat das alles mit Ehrenmord, Norm, Kultur oder Tradition in Österreich zu tun?
Statistiken und Motive
Die Inzidenz liegt in Schweden bei 0,6 pro 100.000 Kinder unter 15 Jahren (Somander & Rammer, 1991), in den USA bei bis zu 2,5 pro 100.000 Kinder unter 18 Jahren (Jason, Gilliland & Tyler, 1983) und in Finnland und Österreich bei 5 pro 100.000 Kinder.
Man geht davon aus, dass 2 bis 10 % der als plötzlicher Säuglingstod registrierten Fälle ein gewalttätiges Motiv haben und in Wirklichkeit Kindstötungen sind (Emery, 1985). Zwei Drittel bis drei Viertel der Kindstötungen werden von der leiblichen Mutter begangen. Nach einer Studie von Raič war in 18 % der Fälle der Vater der Täter. Resnick untersuchte 1969 131 Gerichtsfälle, in denen Mütter ihre Kinder getötet hatten, anhand von Interviews und teilte diese Fälle je nach Motiv in fünf Kategorien ein (außer Neonatizid).
Quelle: APA: Finnland mit den meisten Kindstötungen in der westlichen Welt. Kleine Zeitung, 11. Dezember 2011, archiviert vom Original am 17. August 2014; abgerufen am 11. Dezember 2011: „In Schweden ist es nur etwas mehr als ein Zehntel. Die Studie zeigt auch, dass Mütter mit psychischen Problemen am häufigsten zu Täterinnen werden. In 75 von 200 Fällen begingen die Täter Selbstmord.“
Seit der Antike kennt die Gesellschaft die Tötung des Nachwuchses in Zeiten der Not, des Hungers oder aus anderen Gründen. Große Philosophen wie Platon und Seneca befürworteten die weit verbreitete Sitte, „missgestaltete“ Neugeborene auszusetzen oder aktiv zu töten. Im Gegensatz dazu berichtete Tacitus, dass die Juden die Tötung spätgeborener Kinder als Verbrechen betrachteten, und Flavius Josephus bezeugte im 1. Jahrhundert, dass es im Judentum verboten sei, eine Abtreibung herbeizuführen.
Im mittelalterlichen jüdisch-christlichen Europa waren die Hauptgründe für Kindstötungen die Unehelichkeit des Kindes und die Armut der Eltern (Quelle: Moseley, 1986), aber auch Missbildungen des Kindes.
Quellen: Flavius Josephus, Gegen Apion 2,24 und Hannes Stein: Unser Engel bewahrt uns vor dem Kindermord, Die Welt, 22. Februar 2013.
Wir müssen warnen!
Wenn die Medien zu Recht oder zu Unrecht Probleme mit dem AKP-Regime und seinen Propagandisten bzw. deren verlängertem Arm in Österreich haben, die Sie als undemokratisch und verfassungsfeindlich empfinden, dann direkt mit jenen, die sich journalistisch, politisch, aber nicht mit einer vielfältigen Bevölkerung von ca. 400.000 (vierhunderttausend) Menschen aus der Türkei mit anderer Herkunft in einem 9-Millionen-Land wie Österreich beschäftigen.
„Vielgeprüftes Land“ versus „Vielgeliebtes Österreich“
Pauschalisierungen, die die Herkunft einer Gruppe in Österreich reißerisch darstellen, können vielleicht unter dem Deckmantel des Journalismus versteckte Vorurteile und Hass aus verschiedenen Gründen einiger „Menschen“ (unter dem Vorwand, ÖsterreicherInnen zu sein) gegen eine Bevölkerungsgruppe in Österreich, die in der vierten Generation, ca. 400.000 Menschen, Ihre Herkunft aus der Türkei bedienen bzw. stillen. Wir haben verstanden, dass Sie Menschen hassen, aber Sie können dafür nicht ein Medium bzw. hinter einem Medium als seriöse JournalistInnen oder HerausgeberInnen verstecken, egal welches, das auch Inserate der öffentlichen Hand oder von Parteien schaltet, wo auch Austrotürken ihre Steuern zahlen oder private Unternehmen, wo auch Sie einkaufen, Ihre Versicherung abschließen, Ihre Bank haben etc.
Das dient nicht dem Zusammenleben in Österreich und führt zu Vorurteilen und Hass. Das wollen wir nicht.
Wir haben kein Verständnis für Hetzer, egal von welcher Seite, auch nicht unter uns, und ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass wir als Verfassungspatrioten hier einen Einspruch erheben, den wir nicht auf die Straße tragen, indem wir vor Institutionen, Parteien, Ministerien und Medien demonstrieren, weil unsere Würde hier permanent angegriffen und missachtet wird. Es gibt das Demonstrationsrecht.
Österreich ist, wie es in der Bundeshymne heißt, ein „vielgeprüftes Land“, viel und schmerzlich geprüft auch durch biologischen und kulturellen Rassismus und klerikalen Faschismus… Auf diesen Trümmern des Zweiten Weltkrieges wurde die Republik Österreich mit einer vielfältigen, freiheitlich-demokratischen, liberalen und säkularen Grundordnung aufgebaut. Wir möchten die Werte, Prinzipien und die kulturelle Identität der Republik Österreich schützen, weil wir Österreich lieben, wie es in der Bundeshymne „Vielgeliebtes Österreich“ heißt, weil wir stolze österreichische BürgerInnen sind.
Fragen und Antworten
Die Türkische KULTURgemeinde in Österreich (TKG) hat hier Fragen und Antworten vorbereitet, die für uns als unabhängige NGO eine Legitimation für das Gemeinwohl der Republik Österreich und das Zusammenleben ohne Pauschalisierungen darstellen sollen.
Frage: Wie beeinflussen kulturelle Werte, Bräuche, Traditionen und Normen das Ehrverständnis der türkischen Community in Österreich?
TKG: So etwas Brutales hat nichts mit den türkischen kulturellen Werten, Traditionen, Bräuchen, Normen und dem Verständnis der Menschen aus der Türkei, egal welcher Herkunft, zu tun. Genauso wenig wie der autochthone Österreicher Fritz aus Amstetten, der durch die jahrelange Vergewaltigung seiner eigenen Tochter im Keller seines Hauses weltweit Schlagzeilen machte, mit österreichischen kulturellen Werten, Ehrbegriff, Traditionen, Sitten und Normen zu tun hat. Der Großteil der in Österreich lebenden türkischen Migranten lebt friedlich und in allen Bereichen integriert in Österreich. Seien es WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen, Fachmänner und Frauen in allen Bereichen, Gastronomie, KünstlerInnen, ArbeiterInnen, gewählte Abgeordnete, Landesabgeordnete, Bezirksräte, TaxifahrerInnen, Bedienstete. Es gibt unter ihnen sehr gute und sehr schlechte Menschen, genauso wie unter autochthonen ÖsterreicherInnen oder anderen Gruppen von MigrantInnen. Man sollte kriminelle Geschichten nicht auf eine Gemeinde, auf Personen oder Bevölkerungsgruppen verallgemeinern. Wir werden in Österreich täglich auf die Probe gestellt, weil die Bevölkerung, ob wir es wollen oder nicht, immer vielfältiger wird.
Aber Tatsache ist, damit es jeder weiß: Die österreichisch-türkischen Familien hegen und pflegen ihre Kinder und widmen ihnen ihr ganzes Leben. Die Geburt eines Kindes gilt in der österreichisch-türkischen Gesellschaft als „Glücksbringer für die ganze Familie“ und das Kind wird nicht weggeworfen, wenn es nicht gefällt oder die Ehre verletzt. Ein solches Bild möchten die AustrotürkenInnen in Österreich als unveränderbare Kultur vermitteln. Bravo… aus der Geschichte nichts gelernt. Wir machen trotzdem weiter. Wir geben die Aufklärungsarbeit für Österreich nicht auf, außer unsere Briefe an die Österreichische Post.
Frage: Welche Rolle spielen familiäre Erwartungen und Traditionen in solchen Fällen (unverheiratete Eltern, Frühgeburt eines Mädchens)?
TKG: Sowohl in Österreich als auch in der Türkei gibt es solche Fälle, die auf Verzweiflung und psychische Not zurückzuführen sind. Die Lebensseiten der österreichischen Presse sind voll von Tragödien, außer bei den türkischen Einwanderern. Niemand führt sie auf Ehrenmorde und unveränderliche kulturelle Normen des Herkunftslandes oder Österreichs zurück, als wären sie DNA. Einzelschicksale als kulturelle Normen einer Nation oder Religion zu definieren, ist Kulturrassismus. Das ist keine Frage der Ehre. Auch in solchen Fällen, bei unverheirateten Paaren, wünscht sich das Kind eine Familie. Im schlimmsten Fall wird das Kind in staatliche Obhut gegeben. Dass dieses Kind vom Vater und seiner Familie nicht gewollt ist und dass psychischer Druck auf die labile Mutter ausgeübt wird, ist Brutalität und das individuelle unmoralische Verhalten dieser Familie. Wir verurteilen es. Ein Kind unmittelbar nach der Geburt zu töten und es aus Gründen der Ehre wegzuwerfen, ist in keiner Nation und in keiner Religion akzeptabel.
Frage: Wie reagiert die Gesellschaft auf einen Ehrenmord? Gibt es einen Unterschied zwischen der Reaktion der türkischen Gesellschaft und der allgemeinen Bevölkerung?
TKG: Ehrenmorde sind in der türkischen Gesellschaft nicht verankert. Sie werden als sehr verabscheuungswürdig empfunden. Solche Morde können in feudalen Familien in der Osttürkei vorkommen, aber auch auf dem Balkan und sogar unter der autochthonen Bevölkerung in Österreich. Diese vereinzelten Vorfälle können nicht einer ganzen Nation angelastet werden. Die türkische Community hat Vertrauen in die unabhängige Justiz und die ehrliche Polizei in Österreich.
Frage: Welche Maßnahmen sollten gesetzt werden, um die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren?
TKG: Österreich ist ein liberaler, demokratischer und sozialer (vor allem für Frauen und Kinder) Rechtsstaat. Diese Qualitäten des österreichischen Staates sollten vor allem bei MigrantInnen, egal welcher Herkunft, verstärkt beworben werden, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind, dass der österreichische Rechtsstaat mit seinen Behörden und all seinen Möglichkeiten auf Abruf für sie da ist, dass der österreichische Rechtsstaat überall und jederzeit existiert und viele rechtliche Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Leben bietet, aber auch Pflichten von seinen BürgerInnen einfordert. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Republik Österreich auf einer glorreichen Geschichte und Vergangenheit mit ihrer heutigen freiheitlich-demokratischen, vielfältigen und säkularen Rechtsstaatsverfassung aufgebaut wurde, auf die wir alle stolz sein können, egal welcher Herkunft wir sind und wie wir unser Augenlicht schützen. Jeden Tag, jede Stunde. Andererseits dürfen wir nie vergessen, dass es in dieser glorreichen Geschichte auch Zeiten gab, die schrecklich, unmenschlich und zum Fremdschämen waren, und dass wir auch daraus keine Feindschaft, sondern Lehren für unser viel geliebtes und viel geprüftes Österreich ziehen müssen. Das müssen wir allen MigrantInnen, egal woher sie kommen, ab der ersten Stunde in Österreich lehren.
Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG)
Wien, 27.11.2024