TürkeiWelt

TKG: „Hagia Sophia Entscheidung ist mir unserem Gewissen und Religionsverständnis nicht zu vereinbaren“

Ein souveräner Staat kann alle inneren und äußeren Angelegenheiten selbst entscheiden.

Es existieren auch ungeschriebene Gesetze.

Wir, die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG), bedauern trotzdem die Entscheidung am 10. July 2020 des höchsten Verwaltungsgerichts der Türkei, die eine nicht nur methodisch (usulen) gesehen verfassungswidrige, sondern auch eine zwingende populistische und politische Entscheidung bzw. als  Akte der Hilflosigkeit  die Hagia Sophia betreffend, ermöglicht hat.  („Ayasofya kararı esasen doğru  ama usulen yanlış karar/ Esas usula mukaddemdir“)

Es ist für uns als Anhänger und Unterstützer der modernen Türkei, sowie als wehrhafter Demokrat mit unserem Gewissen und Religionsverständnis nicht zu vereinbaren, dass man das Hagia Sophia Kirchen-Moschee-Museum im 21. Jahrhundert, wo man eigentlich viel mehr christlich-muslimische Brückenbauprojekte bräuchte und dringend sucht, durch das Missbrauchen und Politisieren der Religion wieder in eine Moschee umwandelt. Wir erheben hier Einspruch, weil das Hagia Sophia Museum Jahrzehnte lang für Völkerverständigung und religiöse Toleranz der modernen Türkei stand.

1935 wurde die Hagia Sophia unter Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der säkularen Republik Türkei, zu einem Museum („Ayasofya Müzesi“) umfunktioniert, das jährlich Hunderttausende Besucher anzieht. Das zeigt auch die Toleranz und Großzügigkeit Atatürks und des türkischen Volkes. Wir sind stolz darauf, mit der Hagia Sophia eine christlich-orthodoxe und islamische Vergangenheit zu haben.

Nicht die Türken haben Byzanz und Hagia Sophia im Jahre 1204 während des 4. Kreuzzugs vorsätzlich zerstört und geplündert, sondern die Venezianer und Franken: „Vor 800 Jahren, am 13. April 1204, eroberte das Heer des vierten Kreuzzugs Konstantinopel und zerstörte damit das Byzantinische Reich, das seit der Spätantike die christliche Vormacht im östlichen Mittelmeerraum gewesen war. Bis heute gilt dieser Kreuzzug als die große katastrophale Pervertierung des Kreuzzuggedankens schlechthin. Der vierte Kreuzzug, so folgerte man aus der Eroberung Konstantinopels, habe ein für allemal den intoleranten, ja fanatischen Geist der Kreuzzüge bewiesen. So sprach der Kreuzzugshistoriker Steven Runciman pathetisch davon, dass „es niemals ein größeres Verbrechen an der Menschheit gegeben hat als den vierten Kreuzzug“, und 2001 bat Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Athen offiziell um Vergebung, für die im Namen der katholischen Kirche auf diesem Kreuzzug verübten Verbrechen. Die anhaltende Empörung erklärt sich daraus, dass der vierte Kreuzzug der Erste gewesen ist, der sich ausschließlich gegen Christen richtete. “ (Prof. Dr. Ralph-Johannes Lilie)

Wo keine Wahrheit ist, ist auch keine Liebe. Reden wir über die Wahrheit.

Was sagt der Koran? 

In der Sure Hac – Vers 40 im Koran heißt es, dass es verboten ist, alte Gotteshäuser in Moscheen umzuwandeln. Der Schutz der Gotteshäuser ist eine internationale Verantwortung für die Menschheit. Wir müssen alle Gotteshäuser schützen, ohne dabei religiöse Differenzen zu machen. Gott schützt alle Menschen, ohne dabei die Religion zu differenzieren. Gott spricht alle Menschen an, wodurch der Schutz der Gotteshäuser nicht nur eine islamische Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit für alle Menschen ist und somit eine internationale Verantwortung entsteht.

Die Begründung für die in Sure Hac – Vers 40 verkündete Erlaubnis, trägt einen deutlichen Internationalen Charakter, der an die Menschheit gerichtet ist: nämlich „den Schutz von Klöstern, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen der Name Gottes oft genannt wird“. Mit diesen Worten bestätigt der Koran, dass die Moschee nicht der einzige Platz ist, der im Namen des einen Gottes gewählt wird. Wir verstehen das so, dass der Sure Hac – Vers 40 uns zu verstehen gibt, dass allen religiösen Gemeinschaften die Unversehrtheit ihrer Gotteshäuser zusteht. Wir interpretieren das somit so, dass nicht nur islamische Stätten geschützt werden sollen und weiteres auch, dass wir alle Recht auf Religionsfreiheit haben, bzw. das Recht, zu beten wo wir wollen. Somit sollen wir auch Kirchen und Synagogen schützen. Die Türkei hat diese Tradition bis jetzt verfolgt.

Das Museum, die Hagia Sophia, jetzt im 21. Jahrhundert in eine Mosche zurück zu wandeln ist infolgedessen nicht unterstützbar. Nicht nur, weil die Mehrheit der Türkinnen und Türken in der Türkei sowie im Ausland diese Entscheidung sicherlich nicht unterstützen, ebenso nicht nur, weil es in der Nähe der Hagia Sophia genug andere wenig besuchte Moscheen gibt (in Istanbul sind gerade 3065 Moscheen gebaut worden), sondern auch, weil die Türkei dadurch eigentlich seine Funktion als Brückenbauer zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident sowie zwischen Süd und Nord verliert.

Nur weil in Griechenland oder auch im alten Cordoba de facto alle Moscheen in Kirchen umgewandelt wurden, sollte nicht durch den Wunsch nach Revanche, auch in der Türkei dieser Fehler gemacht werden. Darauf soll und kann man nicht stolz sein. In Europa leben über sechs Millionen Menschen, welche aus der Türkei stammen, woraus resultierend auch die Zahl der Moscheen und Cem Häuser  in Deutschland, Schweiz, Belgien, Österreich, Frankreich  bzw. in der EU  steigt . Mit der Umwandlung der Hagia Sophia wird in der Symbolpolitik ein falsches Signal an alle Muslime und Christen sowie an die gesamte Welt vermittelt.

Kein*e normale*r durchschnittliche*r türkische*r Staatsbürger*in, kurz die Mehrheit, will so eine Umwandlung des Hagia Sofia Museums.

Die kolportierten Zahlen, welchen nach 70 % der Türkinnen und Türken die Umwandlung unterstützen sollten, sind manipulierte Propagandaberichte, mit welchen die Opposition in der Türkei sowie die modernen Türkinnen und Türken im In- und Ausland unter Druck gesetzt werden.

Für die reaktionären Kräfte in der Türkei und deren verlängerten Arme in Europa gilt es, hier zuerst die Symbolwirkung der monumentalen Gebetsgebäuden zu definieren und de facto einen „Sieg“ gegen die säkulare moderne Republik Türkei und der Gründer der modernen Türkei Atatürk zu gewinnen, indem ein bedeutendes Museum zu einer Moschee transformiert wird.

Die christliche Welt sollte hier auf der Seite der modernen säkularen Türkei stehen und als Unterstützer dienen.

Die Türkei darf man an der Grenze der EU nicht verlieren.

Es ist wichtig, dass erkannt wird, dass die reaktionären Kräfte den Glauben sowie Gott für ihre Politik missbrauchen – etwas, das für den Weltfrieden bis jetzt nichts gebracht hat.

Man sollte Griechenland, Zypern, sowie die gesamte rechte Politik in Europa warnen und bitten, dass keine pauschalen Vorurteile gegen die Türkei, die Türkinnen und Türken sowie gegen die türkische Fahne mehr verbreitet werden sollen, wo die Spreu vom Weizen absichtlich nicht getrennt wird und pauschal „Dämonisierung“  stattfindet.  Diese Hetze kommt den reaktionären Kräften in der Türkei bloß zu nutzen.

Es muss mit dieser Scheinheiligkeit aufgehört werden.Wir, die TKG in Österreich, sind eine Think-Tank NGO, welche sich dazu verpflichtet fühlt, den pluralistischen, freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien zu folgen. Dazu gehört das Missbrauchen des Glaubens nicht! Ganz im Gegenteil.

Wir wünschen uns „Friede daheim und Friede in der Welt“, so wie Atatürk Innen- und Außenpolitik für die moderne Türkei definiert hat und damit eigentlich den Grundstein der modernen Türkei gelegt hat.

Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG)

Links:

Einspruch für die Hagia Sophia

Warum die geplante Umwandlung des Weltkulturerbes in eine Moschee ein Sieg der Regierung gegen die säkulare Republik sein soll

https://kurier.at/meinung/einspruch-fuer-die-hagia-sophia/400955837

HAGIA SOPHIA: „WIR WOLLEN FRIEDEN UND KEINEN HASS“
Kritische Stimmen aus dem islamischen Raum zur Umwandlung des Gotteshauses in eine Moschee mehren sich – Obmann der „Türkischen Kulturgemeinde in Österreich“ gegen „Missbrauch und Politisierung der Religion“

https://www.pro-oriente.at/?site=ne20200722154903

„Wollen Frieden und keinen Hass“

In Österreich äußerte sich zuletzt auch die „Türkische Kulturgemeinde in Österreich“ (TKG) kritisch zur Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee.

https://www.kathpress.at/goto/meldung/1915255/experte-hagia-sophia-umwandlung-hat-mit-religion-wenig-zu-tun

 

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