„TKG ist über den Austritt aus der Istanbul Konvention der Türkei betrübt“
Mit sofortiger Wirkung ab 20. März 2021 hat die Türkei das internationale Abkommen zum Schutz der Frauen vor Gewalt verlassen. Politiker und Aktivisten in der Türkei und auch in der Welt kritisieren die Entscheidung. Der Ausstieg der Türkei aus der Istanbul Konvention ist für alle Frauen, Mädchen und Kinder in der Türkei ein schwarzer Fleck in der modernen türkischen Republik. Die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) ist über den niederschmetternde Austritt aus der Istanbul Konvention der Türkei betrübt. Die TKG sieht die Istanbul-Konvention als Schlüssel zur Bekämpfung der steigenden häuslichen Gewalt in der Türkei natürlich auch in Österreich. Die TKG findet diese Entscheidung zum Austritt aus der Istanbul Konvention durch ein Präsidialdekret vom 20. März 2021 sehr traurig und betont, dass es laut der türkischen Verfassung nicht legitim ist. Der nun verkündete Ausstieg bestärke Mörder von Frauen, Belästiger und Vergewaltiger in der Türkei auch in Europa. Mit dem Dekret wählt den Weg kalkulierter gesellschaftlicher Spaltung in der Türkei. Weil die Regierung mit ihrem Partner, eine Mehrheit im Parlament hält, wäre das eigentlich kein Problem. Das Präsidialdekret stellt einen Verstoß gegen viele Bestimmungen der türkischen Verfassung dar. Die Istanbul Konvention kann nicht durch die Entscheidung des Präsidenten beendet werden. Ist der nächste Schritt der „CEDAW“ („Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen“) -Austritt? Quo vadis Türkei?
Begrüßen 2011 versus Bedauern 2021
Das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ mit dem Ziel, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und die Opfer zu schützen, wurde am 11. Mai 2011 gemeinsam mit dem Europarat ausgearbeitet und in Istanbul zur Unterzeichnung aufgelegt. Der damalige Ministerpräsident Erdogan und die Große Türkische Nationalversammlung (Parlament) unterzeichneten sogar als erstes den Vertrag, was von uns damals sehr begrüßt wurde.
Nun veranlasste der Präsident den Austritt aus dieser Konvention, was wir zutiefst bedauern. In der Türkei und wir aus Österreich sehen darin ein gewaltiges Signal an gewalttätige Männer, keine Strafe mehr befürchten zu müssen, wenn sie Frauen misshandeln oder umbringen. Heute in der Türkei kämen sie vor Gericht oft straffrei oder mit einer viel zu milden Strafe davon, kritisieren Frauenrechtlerinnen. Wir beobachten aus Österreich das gleiche.
Die Regierung in Ankara begründet ihren Schritt mit dem Einfluss Homosexueller entspricht nicht der Wahrheit: “ Eine Gruppe an Menschen habe die Istanbul-Konvention, die eigentlich Frauenrechte fördern soll, praktisch gekapert, um Homosexualität zu normalisieren. Das sei aber mit den sozialen Werten und Werten bezüglich der Familie nicht vereinbar. Darum habe man sich entschieden, sich aus der Konvention zurückzuziehen“
Die Wahrheit ist: Das 2011 in Istanbul geschmiedete Abkommen des Europarats verpflichtet die Unterzeichner, häusliche Gewalt zu verhindern, strafrechtlich zu verfolgen und zu beseitigen sowie die Gleichberechtigung zu fördern. Die Konvention hatte die Möglichkeit geschaffen, sich juristisch gegen häusliche und sexualisierte Gewalt zu wehren, auf den Aufbau eines umfassenden Hilfssystems gesetzt, gesellschaftlichen Wandel angestrebt. Weder kulturelle, bräuche noch religiöse Traditionen könnten als Deckmantel in der Türkei dienen, Gewalt gegen Frauen zu ignorieren.
Nun befürchten Frauenrechtsorganisationen zurecht eine weitere Zunahme der ohnehin steigenden Zahl von Femiziden in der Türkei.
Fakt ist auch: Auch hierzulande in Österreich, Deutschland und in der EU Allgemein gibt es gravierende Lücken beim Gewaltschutz von Frauen.
Fakt ist auch: „Es ist noch keine drei Wochen her, da hat Präsident Erdogan einen Menschenrechtsplan in der Türkei vorgelegt, den er bis 2023 zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der Türkei umsetzen will. Er verspricht, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten. Journalisten sollen ihren Beruf deutlich leichter ausüben können. Und jeder sei vor dem Gesetz gleich, ungeachtet seines Geschlechts oder seiner politischen Überzeugungen. Künftig, so der türkische Präsident weiter, soll die Polizei auch niemanden mehr mitten in der Nacht einfach zum Verhör abführen können.“
Fragen: Ist es ist ein Plan maßgeschneidert für Brüssel? Sind die Europäer wegen des Flüchtlingspakts in der Hand ?
Türkische Verfassung Artikel 104 erhebt Einspruch
Die Istanbul Konvention ist eine Menschenrechtsvereinbarung zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Leider hat der Präsident den Austritt aus dieser Konvention mit einem einseitigen Präsidialdekret, ohne Parlament, Volksbefragung oder Legitimation durch die Verfassung, veranlasst.
In der im Amtsblatt Nr. 31429 vom 20. März 2021 veröffentlichten präsidialen Entscheidung 3718 wurde festgestellt, dass der Vertrag „gekündigt“ wird. Selbst wenn es als Präsidialdekret ausgestellt wird, ist es nicht erlaubt eine darauf basierende exekutive Gewalt einzusetzen und es kann auch nur durch die Legislative des türkischen Parlaments aufgehoben werden. Außerdem ist diese Entscheidung de jure nicht mit der türkischen Verfassung verträglich. In der Verfassung der türkischen Republik ist im Artikel 104[i] folgendes festgeschrieben: „Die Präsidialverordnungen dürfen keine Gegenstände regeln, die (…) Grundrechte, persönliche Rechte und Pflichten (…) betreffen.“ Somit ergibt sich, dass über diese Konvention kein Präsidialdekret erlassen werden darf, was aber dennoch in der Nacht von Freitag auf Samstag am 20. März 2021 geschah.
Vorsicht Amtsblatt
Darüber hinaus müssen wir im Namen der türkischen Kulturgemeinde in Österreich bemerken, dass dem Präsidenten der türkischen Republik in dem am 15.07.2018 im Amtsblatt veröffentlichen „Präsidialdekret über die Verfahren und Grundsätze für die Genehmigung internationaler Verträge“ diese Befugnis nicht übertragen wurde und ihm steht es infolgedessen nicht zu, dieses internationale Übereinkommen zu kündigen.
Es ist uns als „ThinkTank“ Organisation ein Anliegen in aller Höflichkeit folgendes zu bemerken: Wie aus dem Amtsblatt der türkischen Republik vom 20. März 2021 mit der Nummer 31419 bezüglich der Aufhebung der Istanbul Konvention hervorgeht, ist dieses Dekret inhaltlich nicht im Bereich „Legislative“ veröffentlich worden, sondern unter dem Titel der „Exekutive“.
Außerdem ist gemäß Artikel 80[ii] der Istanbul Konvention im Falle einer Kündigung eine Notifikation an den Generalsekretär des Europarats zu richten. Daraufhin wird die Kündigung am ersten Tag des Monats nach einer dreimonatigen Frist ab Eingang der Nachricht wirksam.
Trauertag der Frauen, Mädchen und Kinder in der Türkei
Es ist für die Türkei, seine Nachbarn und die EU ein Trauertag. Durch diese Aktion wird eine gefährliche Botschaft in die ganze Welt gesendet, vor allem nach Europa und Österreich.
Die Zahl der Frauenmorde in der Türkei liegt in den vergangenen drei Monaten bei ungefähr 100. Zum Vergleich: im gesamten Jahr 2008 lag die Zahl bei 80. Die Frauenmorde in der Türkei nehmen in den letzten Jahren drastisch zu, so waren es im 2018 rund 440 und im letzten Jahr 2020 rund 471. Die Zahlen zeigen eines: Die Frauen und Mädchen in der Türkei brauchen einen staatlichen Gewaltschutz und Schutz der Grundrechte. Die reaktionären Kräfte in der Türkei sind nicht nur anti-westlich, sondern sie sind auch gegen die freiheitlich, pluralistische, demokratische und säkulare Grundordnung in der Türkei.
Propaganda mit Vernebelungen, Verdunkelungen und Manipulation
Durch Verneblungen, Verdunkelungen und Manipulation der Wahrheit wurde der Zweck der Istanbul Konvention durch die reaktionären Kräfte( Medien, Sekten, Politiker etc.) in der Öffentlichkeit satanisiert und sie wurde als „LGBTQ+“ Konvention dargestellt und die Kinder als Opfer dieser Community erklärt. Dies entspricht nicht der Wahrheit.[iii]
Wenn wir jetzt nicht handeln, werden die Gedanken hinter dem Austritt durch Propaganda nach Österreich und in die EU exportiert und verbreitet. Unabhängige Vereine, wie die TKG und andere NGOs werden erpresst und mundtot gemacht.
Nächster Schritt: „CEDAW“?
Wir warnen hier: das nächste Ziel der reaktionären Kräfte ist der Austritt der Türkei aus der „CEDAW[iv]“ Konvention („Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen“), die mindestens genauso wichtig ist.
Die Begründung des Dekrets zur Aufhebung zeigt auch, dass die Istanbul Konvention entweder nicht richtig verstanden wurde oder dass man den Schutz der Frauen und Mädchen auf der Seite lassen will.
Wir können nicht akzeptieren und schon gar nicht tolerieren, dass sich die Mitgliedstaaten aus ihrer politischen Verpflichtung und Verantwortung zurückziehen und somit die von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen im Stich lassen und Männergewalt an Frauen wieder salonfähig gemacht werden kann.
Wir werden uns als „ThinkTank“ Organisation für die Istanbuler Konvention durch Aufklärung einsetzen und stellen uns gegen die Gewalt gegenüber Frauen, Mädchen und Kindern, sowie gegen jegliche Art von häuslicher Gewalt und fordern die Türkei zur Rückkehr in die Istanbul-Konvention rückgängig zu machen.
Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG)
Links
[i] http://www.verfassungen.eu/tr/
[ii] https://www.aoef.at/images/03_gesetze/3-5_istanbulkonvention/Istanbul-Konvention-deutsch.pdf
[iii] https://www.aoef.at/images/03_gesetze/3-5_istanbulkonvention/Istanbul-Konvention-deutsch.pdf
[iv] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/verfassung/grund-und-menschenrechte/un-menschenrechtsschutz/cedaw.html